“Rieke mag nicht mehr allein sein!” – Kurzgeschichte von Carina Kühne
|über Carina Kühne
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Bei www.KRAUTHAUSEN.tv stellt sie zum ersten Mal ihre Kurzgeschichte “Rieke mag nicht mehr allein sein!” vor.
Rieke mag nicht mehr allein sein!
Rieke ist fünf Jahre alt und wohnt mit ihren Eltern in einer kleinen Stadt im Schwarzwald. In ihrer Straße gibt es einige Geschäfte und auch einen Kindergarten. Das Haus ihrer Eltern ist recht groß. Im Erdgeschoss sind eine Backstube und ein Bäckereigeschäft. Darüber liegt die Wohnung und hinter dem Haus ist ein großer Garten.
Wenn die Mutter Rieke morgens weckt ist der Vater schon in der Backstube.
Beim Frühstück sagt die Mutter immer: „Rieke, schnell, beeile dich, du musst in den Kindergarten, dein Bus kommt gleich und ich muss ins Geschäft.“
Eigentlich würde das Mädchen viel lieber noch mit der Mutter plaudern, aber da hupt der Busfahrer schon und Rieke rennt los. Alle Kinder in ihrer Wohngegend gehen in den Kindergarten am Ende der Straße. Aber Rieke fährt jeden Morgen mit dem Bus in einen Sonderkindergarten am Stadtrand. Sie hat nämlich das Down-Syndrom und ihre Eltern wollen das Beste für sie. Rieke soll besondere Förderung bekommen, ebenso wie die zwei Mädchen im Rollstuhl, die zwei Jungen, die nicht sprechen können und der andere Junge, der immer in Aktion ist und so leicht wütend wird, um sich schlägt und schreit. Die Erzieherinnen sind sehr nett und kümmern sich intensiv um die Kinder, aber Rieke fühlt sich nicht wohl. Sie möchte lieber singen und spielen.
Mittags wird sie mit dem Bus wieder nach Hause gefahren. Die Mutter wartet schon mit dem Mittagessen. Die Bäckerei ist nämlich über die Mittagszeit geschlossen. Der Vater schläft, weil er schon so früh aufstehen und in der Backstube arbeiten muss. Rieke und ihre Mutter essen gemeinsam und erzählen, was sie erlebt haben. Aber die Mutter hat nicht viel Zeit. Sie muss die Bäckerei bald wieder öffnen. Rieke soll bei dem schönen Wetter im Garten spielen. Sie setzt sich auf ihre Schaukel und singt ein Lied. Aber dann hört sie die Nachbarkinder fröhlich miteinander spielen. Neugierig schaut sie hinüber und möchte gerne mitspielen. Deshalb ruft sie: „Hallo, darf ich auch mitspielen?“ Aber keiner will sie haben. Die Kinder rufen zurück: „Du bist nicht unsere Freundin. Du bist doof und behindert. Dich wollen wir nicht!“ Nun ist Rieke sehr traurig. Weil die anderen Kinder sie auslachen geht sie zur Mutter in die Bäckerei und fragt, ob sie helfen darf. Aber die Mutter hat keine Zeit, sie muss sich um die Kunden kümmern. Rieke bekommt eine Brezel und soll schauen, ob der Vater schon wieder in der Backstube arbeitet. Sie freut sich, als sie den Vater sieht. Er backt Kuchen, Brot und Brötchen und Rieke schaut zu, wie er arbeitet. Gerne würde sie helfen, aber dafür ist sie noch zu klein. Ihr Vater sagt immer: „Rieke, pass bloß auf, der Ofen ist heiß! Geh lieber raus und spiele im Garten!“
Aber das möchte sie nicht. Sie geht in die Wohnung und verkriecht sich in ihrem Zimmer.
Dort schaut sie sich Bilderbücher an und hört CDs mit Geschichten und Kinderliedern. Die Geschichten plappert sie mit und die Lieder singt sie mit.
Das macht ihr viel Spaß und sie denkt nicht mehr daran, dass sie keine Freunde hat und die anderen Kinder sie nicht mögen. Manchmal geht sie auch noch einmal hinaus und fährt mit ihrem Dreirad über den Hof. Aber da wird sie auch wieder von den Kindern aus der Umgebung ausgelacht: „Du bist ja ein Baby, du kannst noch nicht mal Rad fahren.“
Darum freut sich Rieke schon auf den Abend, wenn die Eltern das Geschäft schließen und nach dem Abendessen Zeit für sie haben. Das ist für das kleine Mädchen die schönste Zeit des Tages. Rieke darf mit ihren Eltern spielen und sie singen gemeinsam und machen Musik. Leider vergeht die Zeit immer viel zu schnell und Rieke muss ins Bett. Vor dem Einschlafen denkt sie oft: „Wie schön wäre es, wenn ich eine Schwester oder eine Freundin hätte!“
Als sie eines Tages wieder aus dem Kindergarten kommt, steht ein riesiger Möbelwagen in ihrer Straße. Starke Männer schleppen gerade Möbel in das Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite.
Nach dem Essen läuft Rieke gleich wieder hinaus und schaut neugierig über das Gartentor zur anderen Straßenseite. Plötzlich kommt ein Junge hinter dem Möbelwagen hervor und winkt Rieke zu. Sie kann es kaum glauben und winkt zurück. Da kommt er auch schon über die Straße zu ihr gelaufen und sagt: „Hallo, ich bin der Max und wohne jetzt auch hier. Wollen wir miteinander spielen?“
Rieke ist überglücklich endlich einen Spielkameraden zu haben.
Max ist auch fünf Jahre alt. Beide spielen nun jeden Nachmittag miteinander und sind richtig dicke Freunde.
Auch Max’ Eltern sind sehr nett. Sie freunden sich mit Riekes Eltern an. Manchmal unternehmen sie etwas miteinander oder grillen gemeinsam.
Die Mutter von Max hat viel mehr Zeit als Riekes Eltern. Sie arbeitet nur halbtags im Supermarkt. Nachmittags unternimmt sie viel mit Max und nimmt Rieke immer mit. Manchmal gehen sie in den Zoo, ins Kino, ins Schwimmbad, zum Spielplatz oder machen einen Ausflug.
Bevor Max im Kindergarten am Ende der Straße angemeldet wird, sprechen seine Eltern mit Riekes Eltern. Sie meinen: „Es wäre doch sehr schön, wenn Rieke und Max gemeinsam in den Kindergarten gehen könnten, weil sie so gute Freunde sind.“
Und so marschieren Riekes und Max Eltern mit den beiden Kindern in den Kindergarten und melden sie an. Es klappt tatsächlich, beide bekommen einen Platz in der gleichen Gruppe.
Nun muss Rieke nur noch im Sonderkindergarten abgemeldet werden.
Riekes Vater backt einen Riesenkuchen für alle Kinder im Kindergarten und den dürfen Rieke und Max an ihrem ersten Tag mit in den Kindergarten nehmen. Alle Kinder freuen sich und keiner findet Rieke doof.
Nun gehen Rieke und Max jeden Tag gemeinsam in den Kindergarten. Es gefällt Rieke viel besser als in dem anderen Kindergarten. Nachmittags spielen Max und Rieke immer miteinander im Garten.
Rieke spielt besonders gerne Versteck. Als sie sich im Gebüsch verstecken will, hört sie ein leises klägliches Miauen und entdeckt ein winziges schwarzes Kätzchen. Schnell ruft sie Max und sie holen das kleine Kätzchen gemeinsam unter den Sträuchern hervor. Es ist verletzt, deshalb tragen sie es zu Max Mutter. Die geht mit ihnen zum Tierarzt. Der kann dem kleinen Kätzchen helfen und es ist bald wieder gesund.
Natürlich möchten Max und Rieke ihr kleines Findelkind behalten und nennen es Minka. Riekes Eltern müssen es sich genau überlegen, aber dann darf Rieke das kleine Minka doch behalten.
Und auf einmal stehen die Nachbarkinder vor der Gartentür und schauen Max und Rieke zu, wie sie das kleine Kätzchen mit der Flasche füttern und mit ihm spielen.
Sie fragen: „Hallo Rieke und Max, dürfen wir auch mit eurem Kätzchen spielen?“
Rieke öffnet das Tor und alle Kinder spielen zusammen.
Bevor die Nachbarkinder sich verabschieden und wieder nach Hause gehen, meinen sie: „Eigentlich bist Du ganz nett, Rieke und es macht Spaß, mit Dir zu spielen. Dürfen wir morgen wiederkommen? Wenn Du Lust hast, kannst Du uns ja auch mal besuchen!“
– Nun ist Rieke nicht mehr alleine! –
von Carina Kühne